1949
Die Geschichte der NGD-Gruppe und ihrer Einrichtungen.
Die Geschichte der NGD-Gruppe und ihrer Einrichtungen.
Nach der Währungsreform des Vorjahres wurde 1949 durch die Gründung zweier deutscher Staaten die Teilung amtlich. Die junge Bundesrepublik unter Bundeskanzler Konrad Adenauer erkannte die DDR nicht an, und der Ost-West-Konflikt verschärfte sich weiterhin. Während die Sowjetunion ihre erste Atombombe zündete und George Orwell mit „1984" sein bekanntestes Buch veröffentlichte kümmerte sich das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland weiterhin um Menschen in Not.
Jugendliche und junge Erwachsene gerieten immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Die unter 25jährigen waren von der herrschenden Arbeitslosigkeit besonders betroffen, da viele von ihnen durch die Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit Schule und Ausbildung abbrechen mussten. Jetzt standen sie ohne berufliche Perspektive da. Vor allem unter den jungen Flüchtlingen war die Lage fatal. Manche verharrten in den Lagern, die aber in der Regel in den ländlichen Gebieten lagen und damit fernab aller Arbeitsplätze. Andere schlossen sich zu Gruppen zusammen und zogen durch das Land. Sie wurden „die streunende Jugend" genannt und galten als besonders gefährdet. In einem zeitgenössischen Artikel heißt es über sie, sie seien der „besonders gefährdete Komplex der streunenden Jugend […], die im wahrsten Sinn des Wortes auf der Straße liegt, ein untergründiges Vagabundendasein führt und an den Zäunen der Ordnung verkommt, wenn sie nicht wieder an Sozialsubstanz gewinnt."
Um diese Jugendlichen aufzufangen und ihnen die Möglichkeit zu geben, eine Existenz aufzubauen, wurden die Jugendaufbauwerke und Jugendgemeinschaftswerke gegründet. Die Jugendaufbauwerke wandten sich dabei an schulentlassene Jugendliche, die auf der Suche nach einer Lehrstelle waren. Jugendgemeinschaftswerke boten einen „gehobenen Volksschulunterricht", der mit einer „handwerklichen Elementarausbildung" verbunden wurde. Die Wissenslücken der Jugendlichen sollten aufgearbeitet werden, um sie fit für den Übergang in die Lehre zu machen.
Die Mitarbeitenden des Hilfswerkes hatten die Notwendigkeit der Jugendhilfe schon lange erkannt. Sie hatten unter anderem die sogenannten „Heime für freiwillige Jugendarbeit" gegründet, die oft in der Nähe der Flüchtlingsheime lagen. Die Jugendlichen erhielten Unterricht und arbeiteten für Kost, Logis und ein Taschengeld an gemeinnützigen Projekten in den jeweiligen Gemeinden mit. Nach 1949 wurden diese Heime zu Jugendaufbauwerken, Jugendgemeinschaftswerken oder, wenn sie in städtischen Bereichen lagen, Lehrlingswohnheimen umfunktioniert.
werden bis Ende 1949 über das Hauptbüro verteilt. Nicht immer komplikationslos:
aus Südafrika wird z.B. Karakulwolle als Matratzenfutter gespendet. Mit Hilfe eines Fachmannes wird ein Verfahren entwickelt, wie sie sich durch Zusatz von Schafwolle verspinnen lässt, um Wolle für dringend benötigte Bekleidung zu erhalten.
Doch schon bald wandelte sich der Bedarf, und aus dem Heim für Jugendliche ohne Lehrstelle wurde ein Lehrlingswohnheim. Viele der Jugendlichen, die jetzt endlich eine Lehrstelle finden konnten, wohnten weit von ihrem neuen Arbeitsplatz entfernt. Ein weiteres Problem bestand darin, dass sie noch nicht volljährig waren. Das evangelische Hilfswerk gründete und arbeitete mit zahlreichen der neu entstehenden Lehrlingsheimen zusammen, in denen die jungen Damen und Herren, streng getrennt, unter der Aufsicht von Heimeltern ins Berufsleben starteten.
Der Krieg war schon seit vier Jahren zu Ende – aber seine Folgen zeigten sich immer wieder von neuem. Für viele Kinder und Jugendliche war der Schulbesuch in den 1940er Jahren nur unregelmäßig möglich gewesen. Vor allem die Flüchtlinge hatten nach 1945 nur selten Unterricht erhalten können. Das rächte sich nun: Lehrstellen waren ohnehin rar, und die Chancen eines Bewerbers, der 80 Fehler in einem Diktattext machte, äußerst gering.
Jugendaufbauwerke (JAW) sollten Abhilfe schaffen. In getrennten Einrichtungen lebten Jungen und Mädchen für ein halbes Jahr. Sie mussten gemeinnützige Arbeit für die jeweilige Gemeinde leisten, in der das JAW lag. Dafür erhielten sie Unterkunft und Verpflegung, Unterricht, Taschengeld und Hilfe bei der Lehrstellensuche. Die JAW's erfüllten allerdings noch einen weiteren Zweck: sie sollten Jugendliche, die, nach den strengen Moralvorstellungen der 1940er und 1950er Jahre, dabei waren, auf die schiefe Bahn zu geraten, wieder auf den „rechten Weg“ zurückführen.
In Eutin zogen im Sommer des Jahres 1949 die ersten Jungen in Baracken, die zuvor als Militärbaracken und Versehrtenwerk gedient hatten. Ein Viertel der Teilnehmer galt aufgrund von Milieuschäden als „gefährdet“ – wobei in den Berichten leider nicht vermerkt wurde, was sich hinter dieser Formulierung genau verbarg. Die Jungen hatten auf jeden Fall alle Hände voll zu tun: sowohl die Räumlichkeiten für Waschbecken, Duschen und Toiletten als auch die entsprechenden Kanalisationsanlagen mussten noch gebaut werden. Erfahrene Meister standen den Jungen zwar mit Rat und Tat zur Seite, aber die Arbeit musste, schon aus Kostengründen, von ihnen selbst geleistet werden. Außerdem benötigten die Baracken einen Anstrich von innen und außen, und auch Möbel mussten erst noch gebaut werden.
Für die Jungen gab es einen strengen Tagesplan. Arbeit, Unterricht und Unterstützung der Küchenbelegschaft gehörten ebenso zum Programm wie verschiedene Sport- und Freizeitangebote oder die regelmäßig durchgeführten sogenannten Belehrungsfahrten. Regelmäßige Beratungen durch die Angestellten der örtlichen Arbeitsämter sollten den Jungen dabei helfen einen realistischen Berufswunsch zu entwickeln, der ihren Stärken, Fähigkeiten und Vorlieben entsprach. Durch die Kontakte der Mitarbeitenden des Hilfswerkes der evangelischen Kirche in Deutschland konnten viele Jungen ihre Wünsche verwirklichen.
aber die Not war groß. Viele Kinder, die in die Schule gehen wollten, konnten dies nicht an ihrem Wohnort tun oder waren auf sich allein gestellt, da sie im Krieg ihre Eltern verloren hatten. Sie alle lebten in Internaten, die sich in der Nähe der Schulen befanden. Für eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen wurde ein solches Internat in einem Teil der Räumlichkeiten des Martinshauses eingerichtet.
...findet sich in einem Dankschreiben an den Pastor einer Kirchengemeinde in Südamerika. Die Mitglieder seiner Gemeinde hatten gesammelt und dem Marienhof Kinderkurheim eine Spende für den alltägliche Bedarf zukommen lassen: eine Kiste Schuhe, einen Ballen Kleidung, Zucker, Milchpulver, Reis und Eipulver. Als besondere Leckerei für die Kinder enthielt die Spende zusätzlich Kakao, Schokolade und ein Fass Honig, das den Leiter der Einrichtung vor allerhand logistische Probleme stellte. Denn wie sollten das gute Stück und sein wertvoller Inhalt ins Haus kommen? Die Tür und die verwinkelten Gänge, die zum Vorratskeller führten, waren zu schmal und das Fass sehr schwer. Nach einer Diskussion im strömenden Regen entschied man sich, trotz aller Bedenken, für die Kohlenrutsche. Das Experiment gelang, und im Dankschreiben nach Südamerika ist nachzulesen, dass nun täglich ein Honigbrot gereicht werden kann, „nach dem sich unsere kleinen Gäste nach dem Mittagsschlaf die Finger lecken.“ Sonntags gab es zusätzlich noch eine Tasse Kakao – in Zeiten der Lebensmittelmarken ein echter Luxus für die Kinder, der nur durch die Spendenbereitschaft des Auslandes ermöglicht werden konnte.
Und am Ende des Jahre schon 33 Umschüler – das Versehrtenwerk fand großen Zuspruch. Im Frühjahr wurden Handwerksmeister eingestellt, die die Leitung der Ausbildung übernahmen. Das Versehrtenwerk trug sich in die Handwerksrolle der Handwerkskammer Flensburg ein, und auch den jeweiligen Innungen konnte man nun beitreten.